Auswirkungen von Sandeintrag auf das Interstitial kleiner Fließgewässer
im Bereich der Lüneburger Heide
Volker Buddensiek, Günther Ratzbor, Klaus Wächtler

Einleitung
Der Schutz von Fließgewässern wird zunehmend als eine wichtige öffentliche Aufgabe angesehen. Eine Vielzahl von Aktivitäten hat die Sicherung und Erhaltung natürlicher bis naturnaher Gewässer bzw. die Wiederherstellung bereits geschädigter Gewässer zum Ziel. Für die Wasserwirtschafts- und Naturschutzverwaltungen der Länder ergeben sich somit wachsende Verpflichtungen. Mit "Natur 2000" (MURL 1990), der "Richtlinie für naturnahen Ausbau und Unterhaltung der Fließgewässer in Nordrhein-Westfalen" (LWA 1989) sowie dem Fließgewässerschutzsystem (DAHL und HULLEN 1989) sind Qualitätsziele und Leitlinien bestimmt worden, die sowohl für die Planung als auch für die Eingriffsbeurteilung oder zur Prüfung der Umweltverträglichkeit von Vorhaben grundsätzliche Bedeutung haben (RATZBOR u. SCHOLLES 1990).

Allgemeines Ziel ist die Sicherung oder Wiederherstellung natürlicher oder zumindest möglichst naturnaher Lebensräume, die für den jeweiligen Naturraum typisch sind oder waren. Bei der konkreten Umsetzung ergeben sich in der Praxis häufig Probleme, wenn zu bestimmen ist, was der ursprünglich natürliche Zustand war bzw. welche negativen Einflüsse typische Lebensräume beeinträchtigen.

Wichtige Kriterien für die Beurteilung der 'Naturnähe' eines Gewässers wie die natürliche Reproduktion der Fische oder die Lebensraumansprüche wirbelloser Tiere, die teils auf, teils im Gewässergrund leben, werden oftmals nur unzureichend berücksichtigt. Das Interstitial, also das Lückensystem des Gewässergrundes, bestimmt maßgeblich die Zusammensetzung der Fauna, da viele Wirbellose und die Larven der Fische der Forellenregion zumindest zeitweise in diesem Lückensystem leben.

Der vorliegende Beitrag gibt Hinweise zur Beurteilung dieses speziellen Teillebensraumes am Beispiel kleiner Fließgewässer im Bereich der naturräumlichen Region "Lüneburger Heide" in Niedersachsen.

Da Umweltqualitätsziele einer bestimmten Konkretisierungsebene grundsätzlich regionalisiert werden müssen, sind die dargestellten Ergebnisse nur bedingt auf andere Naturräume übertragbar.

Für den Naturraum "Lüneburger Heide" sind kalte, schnellfließende, nährstoffarme und überwiegend grundwassergespeiste Fließgewässer charakteristisch. Die geologischen Prozesse, welche zur Herausbildung dieses Gewässertyps führten, fanden während und nach der letzten Eiszeit statt. Als ursprüngliches Gewässerbett kann ein Mosaik aus grob- und feinkörnigem Substrat angenommen werden: Uferabbrüche und Verlagerungen des Bachlaufes führten zu einer steten Zufuhr von Bodenmaterial, das auf Grund der hohen Schleppkraft des fließenden Wassers bald in seine Komponenten aufgeteilt wurde. Kies und grobkörnige Sandanteile wurden nur geringfügig bzw. sporadisch verlagert, während Mittel- und Feinsande sowie tonige und schluffige Anteile, bedingt durch ihr geringeres Gewicht, rascher abtransportiert bzw. in Bereichen niedriger Fließgeschwindigkeit erneut sedimentiert wurden.

Die Lebensgemeinschaften der Heidebäche, insbesondere die Bewohner des Interstitials, des Lückensystems im Sediment, waren auf die eine oder andere Weise auf diese Verhältnisse eingestellt.

Im Zuge landwirtschaftlicher Intensivierung kam und kommt es in den Talauen und den angrenzenden Bereichen vermehrt zum Umbruch von Grünland und zur Dränung von Ackerflächen. Wind und oberflächig ablaufende Niederschläge führen ebenso wie Dränwasser besonders die feineren Bodenpartikel mit sich und erhöhen somit den Eintrag dieser Substanzen in die Fließgewässer. Ausbauprofile, die nicht den natürlichen Proportionen entsprechen sowie eine fehlende Sicherung durch Ufervegetation führen zu instabilen Ufern mit häufigen Uferabbrüchen. Unterhaltungsmaßnahmen an den Gewässern schließlich verhindern eine dauerhafte Festlegung des eingetragenen Bodenmaterials und erhöhen so ihrerseits die Menge des transportierten Materials.

Am Beispiel der Flußperlmuschel (Margaritifera margaritifera L.), die als Leitart der Heidebäche inzwischen vom Aussterben bedroht ist, sollen die Auswirkungen des vermehrten Eintrags und Transportes von Feinmaterials auf den Lebensraum und die Bewohner des Interstitials dargestellt werden.

Material und Methoden
Im Rahmen von Versuchen zur Aufzucht junger Flußperlmuscheln wurde untersucht, wie sich die Übersandung kiesigen Substrates auf die Überlebenschancen der dort heranwachsenden besonders empfindlichen Jugendstadien dieser Art auswirkt (BUDDENSIEK, 1992). Gleichzeitig wurden in verschiedenen Bächen der Lüneburger Heide an einer Reihe von Standorten mit unterschiedlicher Zusammensetzung des Sedimentes über eine eigens entwickelten Entnahme-Apparatur (BUDDENSIEK et al. 1990, Abb. 1) Wasserproben aus definierten Tiefen des Interstitials entnommen und auf die Faktoren Sauerstoff, Leitfähigkeit,pH, Ammonium, Nitrit, Nitrat, Phosphat, Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium analysiert.

Parallel dazu wurden an zwei Kiesstandorten und aus einem Sandbett jeweils in unmittelbarer Nähe zu einem Interstitialwasser-Meßpunkt mittels eines Stechzylinders Proben aus den oberen 10 cm des Sedimentes entnommen. Die Probenahme erfolgte an drei Terminen: zu Ende des Winterhalbjahres (April 1989), in einer Phase hoher biologischer Aktivität im Gewässer (Juni 1989) und noch einmal gegen Ende dieser Periode (September 1989).

Zum Vergleich der Zusammensetzung der Bachsedimente mit der Struktur der Böden im Bereich der Talaue wurden Sedimentproben aus den obersten 20 cm des Gewässergrundes von zwei Bächen gezogen (2 Kiesstrecken, 1 Sandstrecke), in denen reproduktionsfähige Bachforellenpopulationen vorkommen. Die Sandstrecke des Forellenbachs I ist für eine natürliche Vermehrung der Bachforelle nicht mehr geeignet. Das ursprüngliche Kiesbett ist etwa 25 bis 30 cm übersandet. Der Vergleich der Bodenart der umgebenden Landschaft wurde an Hand von zwei beispielhaften Körnungssummenkurven aus dem Bereich der Talauen ermittelt.

Die Bestimmung der Korngröße und des Gehaltes an organischer Substanz erfolgte nach HARTGE (1971).

Ergebnisse

Das Ausgangsmaterial
Ein Vergleich der Körnungssummenkurven von 2 Bodenproben aus der Talaue mit Sedimentproben aus 2 Kiesbetten sowie einer Sandstrecke wird in Abb. 2 wiedergegeben. Danach enthalten Kiesstrecken deutlich geringere Anteile an Fein- und Mittelsanden als die angrenzenden Böden während diese Komponenten in der Sandprobe des Bachsedimentes in etwa gleichem Ausmaß auftreten. Fein- und Mittelsande der anstehenden Bodenart müssen folglich durch das fließende Wasser aussortiert und abtransportiert worden sein, um die Körnung des Kiesbettes herzustellen.

Das Sediment
Kies- und Sandstandorte unterscheiden sich erwartungsgemäß im Anteil des Bodenskelettes (> 2 mm). Während diese Komponente im Sandbett erwartungsgemäß völlig fehlt - lediglich einzelne organische Einlagerungen > 2 mm treten hier auf -, macht der Skelettanteil in den beiden Kiesstandorten jeweils ca. 40 - 50% der gesamten Sedimentproben aus (Abb. 3).

Für die Körnungssummenkurven der Fraktion < 2 mm ergeben sich dagegen keinerlei statistisch signifikanten Unterschiede. Im Gegensatz dazu ist der Gehalt an organischer Substanz (eingelagerte Humusbestandteile) in dieser Komponente im Sandbett deutlich höher als in den beiden Kiesstandorten, die sich untereinander wiederum nur geringfügig unterschieden.

Die Chemie des Interstitials von Sand- und Kiesbett
Wasserproben aus dem Interstitial des Sand- und des Kiesstandortes Nr. 1 zeigen trotz einer geringen Entfernung der Entnahmeorte voneinander (ca. 20 m) bereits in den obersten Sedimenthorizonten deutliche Unterschiede (Tab. 1): In der Regel treten im Interstitial des Sandbettes höhere Konzentrationen an Ammonium, Nitrit, Nitrat, Gesamt-Stickstoff (hier als Summe der anorganischen N-Verbindungen berechnet), Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium auf als in der gleichen Schichttiefe des Kiesbettes. Die Leitfähigkeit ist dort ebenfalls erhöht, während der pH, die Sauerstoffsättigung und der Phosphatgehalt im Vergleich niedriger liegen. Auch ist im Interstitial des Sandstandortes im Jahresgang eine größere Schwankungsbreite zu verzeichnen.

Tab. 1: Vergleich wasserchemischer Parameter der freien Welle (f.W.) und des Interstitials eines Kies- und eines Sandbettes (Jahresmittelwerte u. Standartabw.)
TIEFE (cm) KIES SAND KIES SAND
SAUERSTOFFSÄTTIGUNG (%) LEITFÄHIGKEIT (µS)
f.W.
1
2
3
4
5
7
9
105.27 ( 8.59)
100.57 ( 6.73)
84.15 (22.68)
46.23 (12.60)
42.57 (18.57)
34.57 (15.15)
29.08 ( 5.97)
31.45 ( 6.97)
102.64 (11.41)
82.25 ( 6.98)
49.30 (27.91)
60.50 (21.50)
38.00 (23.79)
27.00 ( 7.42)
24.43 ( 7.27) 
21.17 ( 6.28)
210.98 (30.82)
205.71 (29.75)
205.25 (29.40)
205.78 (28.40)
203.68 (27.22)
202.88 (27.03)
197.98 (23.10)
204.55 (21.63)
216.06 (43.52)
218.23 (28.88)
270.78 (75.89)
292.75 (43.97)
280.25 (75.90)
283.22 (80.26)
284.29 (89.81)
286.33 (89.83)
pH AMMONIUM (mg N/l)
f.W.
1
2
3
4
5
7
9
7.03 (0.27) 
7.05 (0.26)
6.99 (0.29)
6.61 (0.33)
6.48 (0.36)
6.41 (0.34)
6.25 (0.33)
6.22 (0.35)
6.98 (0.23)
6.72 (0.16)
6.14 (0.43)
6.53 (0.12)
6.10 (0.51)
5.95 (0.43)
5.71 (0.41)
5.61 (0.39)
0.21 (0.07) 
0.20 (0.06)
0.20 (0.07) 
0.20 (0.09)
0.19 (0.07)
0.20 (0.10)
0.31 (0.22) 
0.23 (0.15)
0.21 (0.05) 
0.23 (0.10)
0.69 (0.55)
0.58 (0.26)
0.92 (0.54)
0.85 (0.41)
1.34 (0.62)
0.95 (0.47)
NITRIT (mg N/l) NITRAT (mg N/l)
f.W.
1
2
3
4
5
7
9
0.01 (0.01) 
0.01 (0.01)
0.01 (0.01)
0.01 (0.00)
0.01 (0.00)
0.01 (0.00)
0.01 (0.00)
0.01 (0.00)
0.01 (0.01) 
0.01 (0.01)
0.02 (0.02)
0.02 (0.00)
0.02 (0.01)
0.02 (0.01)
0.02 (0.01)
0.01 (0.01)
3.24 (0.98)
2.99 (1.09)
3.17 (1.01)
2.80 (0.72)
2.75 (0.53)
2.66 (0.71)
2.00 (0.58)
2.26 (0.55)
3,12 (1,02)
2.29 (0.73)
3.32 (2.33)
3.90 (1.79)
3.41 (2.52)
3.26 (2.65)
3.53 (2.55)
4.19 (3.35)
GESAMT-N (mg N/l) PHOSPHAT (mg/l)
f.W.
1
2
3
4
5
7
9
3.46 (1.01)
3.20 (1.12)
3.39 (1.05)
3.01 (0.76)
2.95 (0.56)
2.87 (0.72)
2.32 (0.51)
2.50 (0.53)
3.34 (1.05)
2.53 (0.80)
4.03 (2.26)
4.50 (1.76)
4.36 (2.32)
4.12 (2.54)
4.88 (2.27)
5.15 (2.98) 
0.11 (0.03) 
0.13 (0.08)
0.11 (0.04)
0.14 (0.10)
0.14 (0.06)
0.13 (0.04)
0.15 (0.06)
0.13 (0.04)
0.10 (0.05)
0.12 (0.03)
0.08 (0.07)
0.07 (0.02)
0.07 (0.06)
0.06 (0.05)
0.06 (0.06)
0.05 (0.07)
NATRIUM (mg/l) KALIUM (mg/l)
f.W.
1
2
3
4
5
7
9
15.80 (1.40)
16.71 (1.17)
15.87 (1.41)
16.23 (1.17)
16.52 (1.48)
16.87 (1.48)
17.31 (1.63)
16.58 (1.40)
16.15 (1.42) 
16.29 (0.97)
17.14 (1.86)
16.88 (0.32)
18.13 (1.27)
17.89 (1.27)
17.00 (0.86)
18.33 (2.02)
4.30 (0.73)
4.24 (0.67)
4.28 (0.74)
4.18 (0.68)
4.01 (0.65)
4.08 (0.67)
3.58 (0.51)
3.99 (1.07)
4.22 (0.78)
4.46 (0.51)
6.21 (2.52)
6.78 (1.42)
7.18 (2.49)
7.02 (2.36)
7.38 (2.78)
8.36 (2.92)
CALCIUM (mg/l)  MAGNESIUM (mg/l)
f.W.
1
2
3
4
5
7
9
11.49 (2.63)
10.89 (2.49)
11.66 (2.60)
12.00 (2.00)
12.68 (3.48)
12.98 (2.98)
12.81 (3.13)
13.18 (3.16) 
11.08 (2.72)
12.06 (1.51)
14.61 (3.76)
18.87 (4.00)
15.52 (5.62)
16.87 (5.60)
13.81 (5.26)
13.67 (4.80)
3.99 (0.33)
3.98 (0.32)
3.92 (0.30)
4.04 (0.35)
3.97 (0.37)
4.05 (0.39)
3.98 (0.45)
4.07 (0.35) 
3.99 (0.32)
4.06 (0.28)
4.02 (0.48)
4.09 (0.35)
3.95 (0.58)
3.99 (0.70)
3.60 (0.81)
3.57 (0.99)

Auswirkung von Übersandung auf die Chemie des Interstitials
Im Verlauf der wasserchemischen Untersuchungen wurde in einem der Gewässer das Kiesbett im Bereich des Probennehmers durch die Ausdehnung einer Sandfläche für die Dauer von zwei Monaten von einer maximal 2 cm hohen Sandschicht überdeckt. Durch Eingraben einer zweiten stationären Einheit in ca. 2,5 m Entfernung von der ersten konnte die Auswirkung der Übersandung auf die Chemie des Interstitials beobachtet werden (Tab. 2). Um die Vergleichbarkeit der Daten zu gewährleisten, werden jeweils die gleichen Horizonte im Kiesbett des Baches zugrunde gelegt, die Höhe der Sandauflage geht hierbei also nicht in die Angabe der Sedimenttiefe ein(1)). Tabelle 2 gibt die Daten für 8 der untersuchten Parameter am übersandeten und am freien Entnahmepunkt wieder (Mittelwerte aus je zwei Messungen)(2)).

Tab. 2: Auswirkung von Übersandung auf das Interstitial (S = Sandablagerung, K = Kies, f.W. = freie Welle)
Tiefe (cm) Sauerstoff (mg/l) Leitfähigkeit (µS) pH Ammonium (mg N/l)
Sand Kies Sand Kies Sand Kies Sand Kies
f.W.
1.4
3.2
5.0
6.8
8.6
10.4
8,90
5,45
2,50
--
1,65
2,10
1,65
9,05 
8,30 
5,85 
5,05 
4,25 
3,75 
3,45
152 
155 
161 
-- 
166 
154 
159
149 
146 
145 
142 
144 
142 
143
6,82 
6,68 
6,62 
-- 
6,64 
6,62 
6,65
6,79 
6,77 
6,66 
6,64 
6,56 
6,53 
6,45
0,16 
0,62 
0,68 
-- 
0,86 
0,64 
0,82
0,21 
0,25 
0,33 
0,22 
0,33 
0,31 
0,33
Nitrat (mg N/l) Phosphat (mg/l) Kalium (mg/l) Calcium (mg/l)
Sand Kies Sand Kies Sand Kies Sand Kies
f.W.
1.4
3.2
5.0
6.8
8.6
10.4
0,88 
0,80 
0,46 
-- 
0,63 
0,34 
0,55
0,92 
0,78 
0,88 
0,93
0,88 
0,80 
0,95
0,17 
0,11 
0,11 
-- 
0,06 
0,08 
0,05
0,18 
0,10 
0,05 
0,08 
0,08 
0,04 
0,03
1,81 
1,95 
1,86 
-- 
1,74 
1,94 
1,86
1,84 
1,96 
1,66 
1,64 
1,63 
1,55 
1,59
6,42 
8,42 
8,14 
-- 
11,19 
8,14 
10,23
8,46 
6,04 
6,38 
6,10 
6,58 
6,98 
7,30

Im Vergleich zeigt sich am nicht übersandeten Standort eine deutlich bessere Sauerstoffversorgung im Sediment, die wiederum einen höheren Nitrat-Gehalt, besonders in den unteren Sedimentschichten, bedingt.

Unter der 1,5 bis 2,0 cm starken Sanddecke kommt es dagegen schon in 3 cm Tiefe zu einem ausgesprochenen Sauerstoff-Defizit und in der Folge zu einem Anstieg von Ammonium. Deutliche Konzentrationserhöhungen weisen auch Kalium und Calcium auf, Phosphat zeigt leicht erhöhte Werte.

Auswirkung von Sand auf die Mortalität junger Flußperlmuscheln
Durch künstliche Infektion gewonnene junge Flußperlmuscheln, die in im Sediment vergrabenen Käfigen gehältert wurden, zeigen eine deutliche Abhängigkeit ihrer Mortalität vom Sediment-Typ: während die Muscheln im Kiesbett länger als 6 Monate überleben, treten in sandigem Sediment vom obersten untersuchten Horizont (1,4 cm Tiefe) an bereits nach 6 Wochen Totalverluste auf (BUDDENSIEK, 1992).

Diskussion
Die negative Auswirkung von Sand auf die Sediment-Struktur und die Fauna von Fließgewässern ist vornehmlich in einer Reihe von fischereibiologisch orientierten Arbeiten nordamerikanischer Autoren festgestellt worden:

Auf eine Abhängigkeit der Besiedlung des Bachbettes von der Korngröße des angebotenen Substrates ist von verschiedenen Autoren (ERIKSEN 1966, ISELY 1911, IWAMOTO et al. 1978, KHALAF UND TACHET 1980, MINSHALL 1984, WILLIAMS 1978) hingewiesen worden. IWAMOTO et al. (1978), McCLELLAND UND BRUSVEN (1980) und ODUM (1980) stellen fest, daß in Fließgewässern unter vergleichbaren Bedingungen Sand die geringste Anzahl von Arten und Individuen bodenlebender Organismen aufweist.

IWAMOTO et al. (1978) stellen einen Anstieg der Sterblichkeitsrate von Fischbrut im Sediment in Abhängigkeit vom Anteil an Feinmaterial fest.

Der letale Einfluß von Sandablagerungen auf die besonders empfindlichen Jugendstadien der Flußperlmuschel konnte sowohl in mehreren Experimenten als auch durch unbeabsichtigte Übersandungen ausgebrachter Käfige bestätigt werden. In allen Fällen traten innerhalb weniger Wochen Verluste von stets 100% der betroffenen Jungmuscheln auf.

BESCHTA UND JACKSON (1979) fanden in einem experimentellen Fließgerinne Unterschiede zwischen grobem Sand (0,5 mm Durchmesser), der lediglich 5 cm tief in das Sediment eindringen kann und diese obere Sedimentschicht durch Verstopfen des Lückensystems gegen weiteres Eindringen versiegelt, und feinem Sand (0,2 mm Durchmesser), der das Lückensystem in seiner gesamten Tiefe von unten her auffüllt. Nach Beendigung der Zufuhr von Sand wurde das Interstitial in diesen Versuchen bei gleichmäßiger Wasserführung nur im obersten Zentimeter wieder freigespült, eine Auswaschung aus tieferen Schichten trat nur auf, wenn das gesamte Sediment während Hochwassersituationen in Bewegung geriet(3)).

Für bodenlebende Organismen, die auf ein stabiles Substrat angewiesen sind und die ein Verdriften über größere Strecken nicht kompensieren können, bedeutet eine solch starke Umlagerung des Sedimentes den Verlust ihres Lebensraumes. Dies gilt auch für die Jugendstadien der Flußperlmuschel.

Auswirkungen von Sandeintrag auf die Wasserchemie untersuchten BURBANCK UND BURBANCK (1967, zitiert nach WILLIAMS 1978), die eine positive Korrelation der Abnahmen von Sauerstoffgehalt und Korngröße des Sedimentes feststellen . PHILLIPS (1971) weist ebenfalls darauf hin, daß schon kleine Mengen Feinsediment ausreichen, die Permeabilität von Kies deutlich zu verringern. Dementsprechend geben MUNN UND MEYER (1988) als minimale Infiltrationsrate von Wasser aus der freien Welle in ein Kiesbett 1,0 cm/min, in ein Sandbett 0,2 cm/min an.

In den hier vorgelegten Ergebnissen zeigen sich in der Chemie der freien Welle von Kies- und Sandstandort erwartungsgemäß keine Unterschiede, dagegen treten bei einigen der gemessenen Parameter im Interstitial beträchtliche Differenzen auf: die erhöhten Werte von Leitfähigkeit, Ammonium, Nitrat, Gesamt-Stickstoff, Kalium und Calcium im Interstitials des Sandbettes weisen ebenso wie die im Vergleich niedrigeren Werte der Sauerstoff-Sättigung und des pH auf einen verringerten Austausch zwischen freier Welle und Sedimentwasser und in der Folge auf eine Akkumulation potentiell schädigender Substanzen hin.

Auch wenn für keine der gemessenen Konzentrationen der Nachweis einer akuten Toxizität vorliegt, zeigen vergleichende Untersuchungen von BUDDENSIEK et al. (1992) an der Flußperlmuschel in der Lüneburger Heide, der Bachmuschel (Unio crassus) im Wendland und der Aufgeblasenen Flußmuschel (U. tumidus) in der Talaue der Leine bei Hannover, daß deren Jugendstadien jeweils dort in ihrem Habitat gedeihen, wo das Lückensystem des Gewässergrundes nicht durch eingetragenes Material verstopft ist und folglich ein ungehinderter Austausch zwischen freier Welle und Sediment stattfindet.

Da es sich bei dem eingetragenen Material neben Ton- und Schluffanteilen überwiegend um Fein- und Mittelsand sowie Humus handelt, wird der ursprünglich durch Auswaschung eben dieser Komponenten entstandene kiesreiche Gewässergrund grundsätzlich verändert. Die in Fließgewässern oftmals zu beobachtenden Strömungsrippeln kennzeichnen einen meist kompakten Transportkörper, der überwiegend aus Mittelsand mit Feinsand-, Schluff-, Ton- und Humuseinschlüssen besteht und ehemals freie Kiesstrecken überdeckt.

Bereits eine kurzzeitige Übersandung des Kiesbettes zieht deutliche Veränderungen in der Chemie des Interstitials im überlagerten Kies nach sich. Die Sauerstoff-Versorgung geht zurück, parallel dazu steigt der Anteil von Ammonium im Sediment an, die Werte für Kalium, Calcium und in der Folge Leitfähigkeit erhöhen sich ebenfalls.

Nach WILLIAMS (1984) existieren im Sediment drei Strömungrichtungen: 1. horizontal, abhängig von der Fließgeschwindigkeit der freien Welle, 2. vertikal aufsteigend, kapillar getrieben aus dem Grundwasser, 3. vertikal absteigend, durch Regen und Wellen angetrieben. Das Auftreten von Sauerstoffmangel unter einer max. 2 cm starken Sandschicht weist darauf hin, daß in flachgründigen Heidegewässern die vertikal absteigende Strömung für die Aufrechterhaltung des inneren Milieus im Sediment eine besondere Rolle spielt. Eine Versorgung von Benthos-Organismen über das horizontal strömende Interstitialwasser scheint danach nicht auszureichen bzw. unter Sandablagerungen zum Erliegen zu kommen.

Die Schäden, die durch Sandeintrag in die Gewässer hervorgerufen werden - und die hier beispielhaft für eine an kiesiges Sediment gebundene Leitart der Heidebäche, die Flußperlmuschel, untersucht wurden -, sind für den Nachwuchs dieser Art besonders verheerend, da die Tiere extrem langlebig sind und erst mit ca. 15 Jahren geschlechtsreif werden; kommt es innerhalb dieses Zeitraums einmal zu einer größeren Sandablagerung auf einer Kiesfläche, muß mit dem Verlust eines großen Teiles der dort heranwachsenden Jungmuscheln gerechnet werden, d.h. der Reproduktionserfolg einer Population ist auch wesentlich davon bestimmt, daß das vorhandene Sediment über Jahrzehnte hinaus kontinuierlich von Übersandungen verschont bleibt. Gleichzeitig erlaubt das ehemals mehrere Millionen Tiere umfassende Vorkommen dieser Art in den Bächen der Lüneburger Heide der Umkehrschluß, daß die Sandfracht dieser Bäche im naturnahen Zustand offenbar erheblich geringer war als es heute der Fall ist.

Die dargestellten Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit, der Sandfracht sowohl bei der Sanierung oder Renaturierung von Fließgewässern, als auch bei der Eingriffsbeurteilung bzw. bei der Prüfung der Umweltverträglichkeit von Vorhaben ein größeres Gewicht beizumessen. Die Bestimmung der Wasserqualität der freien Welle als Planungs- oder Entscheidungsgrundlage reicht nicht aus. Es muß zusätzlich bestimmt werden, welche ursprünglich typischen Gewässerstrukturen durch Überlagerung beeinträchtigt oder zerstört wurden und wie diese Strukturen wiederherzustellen sind. Nur so können charakteristische Lebensraumbedingungen einer naturraumtypischen Lebensgemeinschaft wiederhergestellt und den allgemeinen Zielsetzungen bei der Erhaltung und Renaturierung von Fließgewässern genügt werden.

Zusammenfassung
In dem vorliegenden Manuskript wird die Bedeutung der Sedimentstruktur für den Lebenraum "Heidebach" dargestellt. Anhand von Korngrößen-Analysen wird die Entstehungsgeschichte des Sedimentes untersucht; über die Entnahme von Interstitialwasser, das im Tiefenprofil an mehreren Standorten gewonnen wurde, können deutliche Veränderungen der Wasserchemie im Interstitial als Folge von Sandeintrag nachgewiesen werden. Veränderung der Sedimentstruktur sowie Veränderungen chemischer Parameter im Interstitial wirken sich deutlich negativ auf die Aufwuchs-Chancen der Leitart dieses Gewässertyps, die Flußperlmuschel Margaritifera margaritifera (und hier besonders auf das hoch empfindliche Jugendstatdium), aus. Da diese Art die Bäche der Lüneburger Heide früher in hohen Dichten besiedelte, kann rückgeschlossen werden, daß der heute zu beobachtende starke Sandtransport dieser Gewässer zu einem wesentlichen Teil anthropogenen Ursprungs ist.

Literatur
BESCHTA, R.L., W.L.JACKSON (1979): The intrusion of fine sediments into a stable gravel bed. - J. Fish. Res. Board Can. 36: 204-210
BUDDENSIEK, V. (1992): The pearl mussel Margaritifera margaritifera L. in its early postparasitic life. - Arch. Hydrobiol., Supplement, im Druck
BUDDENSIEK, V. (1991): Untersuchungen zu den Aufwuchsbedingungen der Flußperlmuschel Margaritifera margaritifera LINNAEUS (Bivalvia) in ihrer frühen postparasitären Phase. - Dissertation, Universität Hannover
BUDDENSIEK, V., H.ENGEL, S.FLEISCHAUER-RÖSSING, S.OLBRICH, K.WÄCHTLER (1990): Studies on the chemistry of interstitial water taken from defined horizons in the fine sediments of bivalve habitats in several northern German lowland waters. I.: Sampling techniques. - Arch. Hydrobiol. 119: 55-64
BUDDENSIEK, V., H.ENGEL, S.FLEISCHAUER-RÖSSING, K.WÄCHTLER (1992): Studies on the chemistry of interstitial water taken from defined horizons in the fine sediments of bivalve habitats in several northern German lowland waters. II.: Microhabitats of Margaritifera margaritifera L., Unio crassus (Philipsson) and Unio tumidus Philipsson. - Arch. Hydrobiol., im Druck
BURBANCK, W.D., G.P.BURBANCK (1967): Parameters of interstitial water collected by a new sampler from the biotopes of Cyathura polita (Isopoda) in six southeastern states. - Chesapeake Science 8: 14-27
DAHL, H.-J., M.HULLEN (1989): Studie über die Möglichkeiten eines naturnahen Fließgewässersystems in Niedersachsen (Fließgewässerschutzsystem Niedersachsen). - in: DAHL, H.-J., M.HULLEN, W.HERR, D.TODESKINO, G.WIGLEB: Beiträge zum Fließgewässerschutz in Niedersachsen, 5-120 Hannover (Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen, 18)
ERIKSEN, C.H. (1966): Benthic invertebrates and some substrate-current-oxygen interrelationships. - Pymatuning Laboratory of Ecology, Special publications 4: 98-115
HARTGE, K.H. (1971): Die physikalische Untersuchung von Böden - Eine Labor- und Praktikumsanweisung. - Stuttgart
ISELY, F.B. (1911): Preliminary note on the ecology of the early juvenile life of the unionidae. - Biol. Bull. mar. biol. Lab. 20: 77-80
IWAMOTO, R.N., E.O.SAIO, M.A.MADEJ, R.L.McCOMAS (Hrsg.) (1978): Sediment and water quality: A review of the literature including a suggested approach for water quality criteria. - Fisheries Research Institute, University of Washington, Seattle, Washington
KHALAF, G., H.TACHET (1980): Colonization of artificial substrata by macro-invertebrates in a stream and variations according to stone size. - Freshwater Biology 10: 475-482
LANDESAMT FÜR WASSER UND ABFALL NORDRHEIN-WESTFALEN (LWA, Hrsg.) (1989): Richtlinie für den naturnahen Ausbau und Unterhaltung der Fließgewässser in Nordrhein-Westfalen, 4. Auflage, Düsseldorf
McCLELLAND, W.T., M.A.BRUSVEN (1980): Effects of sedimentation on the behaviour and distribution of riffle insects in a laboratory stream. - Aquatic Insects 2: 161-169
MINSHALL, G.W. (1984): Aquatic insect-substratum relationships. - in: RESH, ROSENBERG (Eds.): The Ecology of aquatic insects.
MUNN, N.L., J.L.MEYER (1988): Rapid flow through the sediments of a headwater stream in the southern Appalchians. - Freshwater Biology 20: 235-240
MURL (DER MINISTER FÜR UMWELT, RAUMORDNUNG UND LANDWIRTSCHAFT DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN, Hrsg.) (1990): Natur 2000 in Nordrhein-Westfalen. Leitbilder und Leitlinien für Natur und Landschaft im Jahr 2000. - Düsseldorf
ODUM, P.E. (1980): Grundlagen der Ökologie. - Stuttgart & New York
PHILLIPS, R.W. (1971): Effects of sediment on the gravel environment and fish production. in: KRYGIER, J.K., J.D.HALL (Eds.): Forest land uses and stream environment. Oregon State Univ., Corvallis, Oreg.: 64-74
RATZBOR, G., F.SCHOLLES (1990): Umweltqualitätsziele für Gewässer. - UVP-Report 4(3): 67-74
WILLIAMS, D.D. (1978): Substrate size selection by stream invertebrates and the influence of sand. - Limnol. Oceanogr. 23: 1030-1033
WILLIAMS, D.D. (1984): The hyporheic zone as a habitat for aquatic insects and associated arthropods. in: RESH, ROSENBERG (Eds.): The ecology of aquatic insects.

Fußnoten:
1. ) Zieht man für den Vergleich die absolute Sedimenttiefe heran und legt eine Sandauflage von 2 cm zugrunde, zeigt sich immer noch eine sinngemäße Veränderung der Chemie des Interstitialwassers.



2. ) Da der Entnahmeschlauch des übersandeten Probenehmers für den Horizont 5 cm verstopft und eine Reinigung ohne Veränderung der Sedimentauflage nicht möglich war, liegen für diesen Punkt keine Meßwerte vor.


3. ) Eine Mobilisierung von Feinmaterial aus der Tiefe des Sedimentes in Richtung Oberfläche, wie er langfristig durch grabende Bewohner des Interstitials auftritt, blieb auf Grund der experimentellen Anlage dieser Versuche unberücksichtigt.


Originally published in Natur und Landschaft 68 (1993) Nr.2, S. 47-51

zurück back